Das Konzept „Junge Adipositas“

Ausgangslage
Übergewicht und Adipositas sind 2 Begriffe, die in der Literatur meistens nicht unterschieden werden. Aus medizinischer Sicht jedoch sollte eine klare Trennung erfolgen.
(Quelle: Adipositas bei Kindern & Jugendlichen, Wabitsch, S.4)

Eine Adipositas liegt vor, wenn der Körperfettanteil, gemessen an der Gesamtkörpermasse, zu hoch ist. Von Übergewicht spricht man, wenn im Vergleich zur Körpergröße ein zu hohes Körpergewicht vorliegt.
Um möglichst genaue Bestimmungen / Berechnungen des Körperfettanteils zu erlangen, wäre nur eine sehr kostspielige und aufwändige Methode, wie z.B. das Messen der Hautfalten möglich.
Daher wird zu dessen Schätzung häufig der BMI (Body Maß Index) verwendet. Die Berechnung wird wie folgt durchgesetzt: Körpergewicht (kg) durch die quadrierte Körpergröße (in m²)

Bei Kindern und Jugendlichen reicht, im Gegensatz zu den Erwachsenen, die alleinige Berechnung des BMI nicht aus. Hier muss zusätzlich das Geschlecht und Alter bei der Beurteilung berücksichtigt werden.
Grund hierfür ist die starke Veränderung während des Wachstums der Kinder und Jugendlichen.
Die Deutsche Adipositas Gesellschaft empfiehlt für das Vorliegen von Übergewicht bzw. Adipositas den Grenzwert 90 Perzentil, bzw. 97 Perzentil

Hierfür liegen Normtabellen, bzw. Diagramme mit geschlechtsspezifischen Altersperzentilen für den BMI vor (z.B. Kronmeyer-Hausschild 200/2001)
(Quelle: Adipositas im Kindes- und Jugendalter 2. Auflage Lehrke –Laeske S. 3)
Hinsichtlich des medizinischen Risikos ist auch das Fettverteilungsmuster von großer Bedeutung.

  • Apfel Typ=Fettkonzentration in der Bauchregion = erhöhtes medizinisches Risiko
  • Birnentyp = Fettkonzentration an Hüften und Oberschenkel = geringes medizinisches Risiko

Epidemiologie und Verlauf, sowie Folgebelastungen
In den vergangenen Jahren ist die Auftrittswahrscheinlichkeit von Übergewicht und Adipositas in allen Altersgruppen gestiegen.
Besonders bei Jungen steigt die Zahl der Betroffenen mit zunehmenden Alter an.
Im Vergleich zu normalgewichtigen Altersgenossen weisen übergewichtige Kinder und Jugendliche ein erhöhtes Risiko auf, auch im Erwachsenenalter übergewichtig zu sein.Die meisten Folgeerkrankungen der Adipositas sind Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen. Zudem findet sich eine erhöhte Mortalität ab einem BMI > 25. Ab einem BMI >30 erhöht diese sich beträchtlich.
Viele Adipositas- assoziierte Folgeerkrankungen kommen bereits im Kindesalter vor.
Hier einige Beispiele:

  • arterielle Hypertonie und Fettstoffwechselstörungen (Wirth 2008)
  • orthopädische Komplikationen
  • beschleunigtes Längenwachstum
  • abnormaler Glukosemetabolismus (Dietz 1998 )

Es ist weiterhin belegt, dass das langfristige Morbiditätsrisiko bei übergewichtigen Kindern und Jugendlichen stärker als bei Normalgewichtigen ausgeprägt ist.
Ebenfalls spielt der psychische Faktor eine große Rolle.
Soziale Benachteiligung, Schwierigkeiten bei der Partnersuche, Ausgrenzung und Diskriminierung, verringerte Lebensqualität, sowie Einschränkungen im körperbezogenen Selbstbild sind einige der psychosozialen Beeinträchtigungen adipöser Personen.
Liegt bereits eine klinisch relevante Adipositas vor, kann ggf. zusätzlich noch die Depression und Ängstlichkeit wie verringertes Selbstwertgefühl hinzukommen.
(Quelle: Adipositas im Kindes & Jungendalter Lehrke- Laessle )

Ziele
Bei der Behandlung übergewichtiger Kinder und Jugendlicher sollte eine langsame Reduktion des Körpergewichts, eine Gewichtskonstanz über mehrere Monate, oder eine Reduktion der Gewichtszunahme unter Ausnutzung des Längenwachstums angestrebt werden; besonders wenn es zu einer Reduktion des Körperfettanteils kommt.

Vorrangig sollten sich die eigentlichen Ziele jedoch auf eine langfristige Veränderung des Ess- und Aktivitätsverhalten konzentrieren.
Dieses ist deshalb sehr wichtig und von hoher Bedeutung, weil bei verschiedenen Kindern vergleichbare Verhaltensänderungen unterschiedlich schnell zu Verbesserungen im Gewichtsstatus führen können.

Bei Kindern und Jugendlichen, bei denen die positiven Auswirkungen auf das Körpergewicht langsamer zeigen, wäre mit einem erhöhten Frustrationspotenzial zu rechnen. Somit bestünde die Gefahr, dass diese ihre diätischen Bemühungen ankurbeln und dabei zu streng den Kontrollstrategien greifen (funktionelles einsetzen von essen). Natürlich ist es wünschenswert den Gewichtsstatus zu reduzieren, jedoch sollte es nicht zu sehr fokussiert werden.
Im Verlauf des Programmes sollten folgende Ziele erreicht werden:

• Vermittlung und Umsetzung von Ernährungswissen – was und wie sollte gegessen werden
• Steigerung der Alltagsaktivität und Vermittlung von Spaß an der Bewegung
• Erlernen von flexiblen Verhaltenskontrolltechniken
• Steigerung der Körperzufriedenheit und des Selbstwertgefühls
• Erarbeitung von Alternativen zu ungünstigen Essverhalten und Erkennung der individuellen Auslöser
• Förderung von Eigeninitiative und Selbstkontrolle
• Steigerung sozialer Kompetenzen

Strategie

I. Ärztliche Eingangsuntersuchung und Begleitung

Einbindung der behandelnden Kinder / Hausärzte

II. Ernährungstherapie

eingehende Anamnese
-Essverhalten
-Größe, Gewicht, BMI
-evtl. BIA (Bioimpendanzanalyse)

  1. Vermittlung und Umsetzung von Ernährungswissen:
  2. Was und wie sollte gegessen werden
  3. Herausfinden individueller Auslöser für ungünstiges Essen
  4. Erarbeitung von Alternativen zum gewohnten Essverhalten
  5. Sensibilisierung für interne Signale von Hunger und Sättigung
  6. Gemeinsames Kochen

III. Verhaltenstherapie

eingehende Anamnese

  • familiäre Situation
    -Schule/ Kindergarten/Hort
    -Essverhalten
  1. Alternativen erarbeiten → Verhaltensänderung
  2. Förderung sozialer Kompetenzen
  3. Steigerung des Selbstwertgefühls und Zufriedenheit mit sich und dem Körper
  4. lernen flexibler Verhaltenskontrolltechniken
  5. Erarbeitung von Möglichkeiten des Umgangs mit negativen Gefühlzuständen
  6. Förderung eines adäquaten Ärger Ausdrucks
  7. Aufbau alternativer Verhaltensweisen

IV. Bewegung / Sportprogramm

  • Steigerung der Alltagsaktivität
  • Vermittlung von Spaß an der Bewegung
  • Förderung von Eigenaktivität und Selbstkontrolle
  • Verbesserung der koordinativen Fähigkeiten
  • Verbesserung der Herz-Kreislauf- Funktion
  • Verringerung des Körperfettanteils
  • Anregung des Stoffwechsels
  • Förderung von Freude an der Bewegung
    -Aufbau positiver Einstellung zu einem körperbewussten und gesunden Lebensstil
  • Aufbau positiver Einstellung zum Sport

Das Sportprogramm wird mindestens 2-mal pro Woche je 1 Std stattfinden

V. Altersklassen und Gruppengröße:

  1. Gruppe 1: 6-9 Jahre
  2. Gruppe 2: 10-12 Jahre
  3. Gruppe 3: 13-16 Jahre
  4. Gruppe 4: 17-21 Jahre

Die Gruppe sollte eine Teilnehmerzahl von mindestens 8 bis maximal 12 Teilnehmer je Gruppe haben.

Um den Gruppenzusammenhalt zu wahren und die Vertrauensbasis zu stärken werden die Gruppen „geschlossene“ Gruppen sein.

VI. Laufzeit des Programmes:

Gesamtlaufzeit: 12 Monate

  • Ernährungstherapie:
    Gruppentherapie: 1x im Monat über den gesamten Therapiezeitraum
    Familientherapie: Im ersten Jahr monatlich, danach alle 2 Monate
  • Verhaltenstherapie:
    Gruppentherapie: Im ersten Jahr monatlich, danach alle 2 Monate zum Aufbau erlernter Strategien / Wege
    Familientherapie: Quartalsweise bei Bedarf mehr
  • Sport / Bewegung:
    2 x wöchentlich je 60 Minuten
    Aquagymnastik, schwimmen, Bodengymnastik, Fußball etc.
  • Selbsthilfegruppe / Freizeitgruppentreff „Junge Selbsthilfe“
    Mindestens 1 x monatlich
    Aktionstage wie z.B. Spieletag, Basteltag, Ausflüge in den Kletterwald, Zoo, gemeinsames Kochen, Wochenendausflüge.
    In den Ferien Ferienprogramme

Nach Beendigung des Programms (12 Monate) wird die Freizeitgruppe als „Junge Selbsthilfe“ weiterhin angeboten, sodass die Kinder / Jugendlichen auch weiterhin eine Anlaufstelle haben.